„Damals lebte ich noch in Schleswig-Holstein, und es ging um die Hühner. Hühnerhaltung war die einzige Tierhaltung, bei der ich ein reines Gewissen hatte(…) . Unser Zusammenleben ähnelte dem einer lockeren Wohngemeinschaft, wobei die Hühner den Part übernahmen, der nie abwäscht.“
Mein Sitzsenf:
Heute landet das A&O von der Wortwiese mitten auf der Hühnerleiter. Das Schöne an diesem Satzsitzzitat ist, dass sich im Lesekopf augenblicklich folgendes Bild aus dem Ei des Vorstellungsvermögens pellt: Hühner mit Puschen an den Krallen flegeln auf einem Sofa und zappen sich durch die kükenfreundliche Kanäle im TV. Zum Gackern! Mindestens zum Grinsen. Aber halt! Woher will der fantasievolle Kopf denn bitteschön wissen, dass in diesem erdachten Bild im Wort „Sofa“ nicht drei Buchstaben ausgeeiert werden sollten, um es vielmehr zum „Sand“ zu machen? Die entsponnene Huhn-Frau-WG kann doch genausogut im Stall ein gackerndglückliches Wohnraum-Gefüge eingegangen sein! Hühnerhumor hin und Menschenmacht her, das ist nämlich exakt der allgemeingültige Kern in Karen Duves grün eingeschlagenem Buch. Sie begibt sich ganz auf Augenhöhe mit ihren Tieren. Und mit allen anderen Feder-, Fell- und Kiementragenden Lebewesen, die nicht (wie die Hennen in Schleswig-Holstein) das Glück hatten, ihre Hühnerpuschen unter den sinnbildlichen Gemeinschaftstisch der Autorin zu stellen: Das sind dann nämlich jene Tiere, die nach einem durchquälten Leben einen ebenso qualvollen Tod erfahren, um schließlich auf einem tatsächlichen Tisch zu landen.
Beim erneuten Lesen des Sitzsatzes sehe ich es dann also auch anders: Da streckt die Duve ihre starken Stiefel im Stall sitzend von sich und kräht die gackgluckende Runde zum Körnerpicken auf dem Strohsofa zusammen.
Das A&O:
Egal wie federfohlocker dieser Sitzsenf nach der langen Pause daherflattern sollte: Spricht oder schreibt man über „Anständig essen“ bleibt es nicht aus, auch in den unangenehmen Wahrheiten zu scharren – und das ist verdammt gut so! Gerade wegen dieser Fakten, die in Duves pointierten Worten punktlanden, wird dieses Buch zu einem, dass ich gewiss Zeit meines Leselebens in sämtliche WGs und Wohnungen mitumziehen werde.
Wo steht der Sitzsatz?
Anständig essen: Ein Selbstversuch von Karen Duve (von 2010).
Galiani Berlin // ISBN: 978-3-86971-028-0
Darf’s ein bisschen mehr sein?
Darf es. Und muss es, denn das Thema ist wichtig. Das A&O wird noch häufiger in ganz unterschiedlichen Satzsitzen von Karen Duves literarischem Selbstversuch Platz nehmen. Das war nur der Anfang, denn wer war zuerst da: Huhn oder Ei? Antwort: Die Hühnerleiter …
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